Was, wenn kein Wind weht? Das Argument der Wetterabhängigkeit und Versorgungssicherheit führen Kritiker der Erneuerbaren Energien oft ins Feld. Als aussichtsreichste Lösung schlägt Sönke Tangermann, Vorstand von Greenpeace Energy, Power-to-Gas vor. Im Interview stellt er die Technik und ihre Möglichkeiten vor.
Sie haben in einer Studie das Wetterphänomen der sogenannten Kalten Dunkelflaute untersuchen lassen. Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?
Die Studie zeigt, dass wir alle zwei Jahre Phasen einer kalten Dunkelflaute haben, das heißt längere Zeiträume von zum Beispiel zwei Wochen mit europaweit wenig Sonnen-strahlung und wenig Wind. Die Folge sind Unterdeckungen von bis zu 70 Gigawatt an Leistung. Es bringt also nichts, so wie es das Bundeswirtschaftsministerium gemacht hat, sich nur ein einzelnes Jahr anzuschauen, um einen solchen Stresstest durchzuführen und dann zu sagen, es sei ja alles in Ordnung. Wir können nicht darüber hinwegsehen, dass fluktuierende erneuerbare Energieerzeugung vom Wetter abhängig ist und dass das Wetter eben teilweise nicht so mitspielt, wie wir das gerne hätten.
Welche Lösung schlagen Sie vor, um die Versorgung in einem System mit 100 Prozent erneuerbaren Energien sicherzustellen?
Wir sprechen über ganz erhebliche Leistungen und Energiemengen, die da gefragt sind. Und im Zuge der Sektorkopplung wollen wir nicht nur die Stromversorgung darstellen, sondern auch die Energieversorgung für Verkehr und Wärme. Diesen Energieverbrauch können wir nicht mit jeder Speichertechnologie abdecken.
Natürlich gibt es Batterien oder Pumpspeicherwerke und das Demand-Side-Management, bei dem wir die Möglichkeit haben, auf den Verbrauch einzuwirken. Alle diese Technologien werden zukünftig dringend gebraucht. Aber die Technologie, die letztlich die großen Energiemengen über längere Zeiträume ein- und ausspeichern kann, ist Power-to-Gas oder, wie wir es nennen, Windgas.
Können Sie kurz skizzieren, wie das Windgas-System funktioniert?
Wir haben auf der einen Seite überschüssigen Strom, der in Zeiten produziert wird, in denen die Nachfrage gering ist. Diesen Strom speichern wir ein, indem wir ihn einem Elekrolyseur zuführen, der damit Wasser (H2O) in seine Bestandteile, Wasserstoff und Sauerstoff, spaltet. Wasserstoff ist das Speichergas, das wir dann im Erdgasnetz einspei-chern. Optional kann man den Wasserstoff zuvor auch noch in einem Syntheseprozess mit CO2 verbinden zu Methan (CH4) – das ist nichts Anderes als hochreines Erdgas. Das löst einige Probleme, die in unserer sehr spezialisierten Erdgaslandschaft existieren. Me-than ist noch einfacher einzuspeisen und zu verwenden, bringt aber auch einen etwas geringeren Wirkungsgrad mit sich. Außerdem ist in einer zunehmend dekarbonisierten Welt, also in einer Welt in der bald nur noch extrem wenig CO2 emittiert wird, nicht ganz klar, woher das CO2 kommen soll. Daher sollte man auf jeden Fall so viel Wasserstoff wie möglich im Erdgasnetz einspeichern. Dies ist technisch möglich und vernünftig.
Und auf der Absatzseite?
Wasserstoff lässt sich in verschiedenen Technologien nutzen, zum Beispiel sehr effizient und sauber in der Brennstoffzelle, wo Wasserstoff und Sauerstoff wieder zusammenge-führt werden und als vollkommen unschädliches „Abgas“ wieder Wasser entsteht. Oder man verbrennt es in den Turbinen von Gas- und Dampfkraftwerken – natürlich mit Wir-kungsgradverlusten, die auch erheblich sind und an denen auch gearbeitet werden muss. Aber wir sprechen, und das ist ganz wichtig, über Strom, der vor allem überschüssig ist. Die Alternative wäre gewesen, den Windpark oder die Photovoltaikanlage abzustellen, weil sie den Strom gar nicht einspeisen könnten, ohne die Netzsicherheit zu gefährden. Dieses Einspeisemanagement geschieht ja schon heute. Es gibt Gegenden, wo 50 Prozent der Zeit Windparks abgeregelt sind, weil das Netz nicht entsprechend ausgebaut ist. Wir sprechen also über Strom, den es gar nicht gäbe, wenn man ihn nicht eingespeist hätte.
Welche Vorteile bietet Windgas gegenüber anderen Überbrückungstechnologien?
Windgas oder Wasserstoff werden nicht alle unsere Probleme lösen. Wir brauchen auch das Demand-Side-Management, bei dem wir die Möglichkeit haben, auf den Verbrauch einzuwirken, und die anderen Speichertechnologien, denn diese haben meist höhere Wirkungsgrade und sind flexibler. Die Probleme beginnen aber bei der Energiemenge und der Speicherdauer. Große Batterien können heute Energie im Bereich von Megawattstunden zwischen einer Stunde und einer Woche speichern. Das ist um den Faktor 1.000.000 zu wenig, um Versorgungssicherheit herzustellen. Auch bei den Pumpspeicherwerken liegen wir noch um den Faktor 1.000 unter den benötigten Kapazitäten. Es gibt auch noch andere Speicher wie Schwungmassenspeicher oder Druckluftspeicher – aber alles nicht in nennenswerten Größen. Die benötigten hohen Energiemengen lassen uns also gar keine Alternative zu Power-to-Gas. Wir haben schon heute in Deutschland Speicherkapazitäten für Gas im Bereich mehrerer hundert Terawattstunden. Das reicht aus, um die Stromversorgung in Deutschland über mehrere Monate darzustellen.
Wie sie erwähnten, existieren viele Teile der Lösungen bereits. Welche Investitionen sind darüberhinaus nötig, um Windgas auf nationaler Ebene aufzubauen?
Unterirdische Kavernen- und Porenspeicher sowie das Leitungsnetz mit großem Volumen existieren bereits. Das ist der Charme an der Windgas-Lösung. Wir brauchen nur noch die Umwandlungstechnologie, sprich die Elektrolyseure. Da können wir Parallelen ziehen zur Photovoltaik. Bis vor 15 Jahren waren Solaranlagen noch wahnsinnig teuer. Förderprogramme und das Erneuerbare-Energien-Gesetz haben der Photovoltaikbranche einen unglaublichen Schwung gebracht. Sie ist übergegangen von der Manufaktur zu automatisierten Fertigungsstraßen, die im großen Stil immer effizientere Module fertigen – und das zu einem Bruchteil des früheren Preises. Bei den Elekrolyseuren sind wir noch in der Manufakturphase, sie werden als Maßanfertigungen auf Bestellung oder in Kleinstserien gebaut.
Was braucht es, damit Windgas eine ähnliche Entwicklung wie die Photovoltaik nimmt?
Es gab in der Vergangenheit vereinzelte Investitionszuschüsse für den Bau von Elektroly-seuren. Viel dringender brauchen wir aber ein funktionierendes Geschäftsmodell. Wir brauchen einen energiepolitischen Plan, der besagt, wir wollen eine Menge X an Elekrolyseursleistung jedes Jahr dazubauen. Das wäre ein Signal an die Industrie, dass dort große Aufträge kommen und dass es sich lohnt, in die Entwicklung und die Serienproduktion dieser Technologie zu investieren.
Wie ist denn in der Hinsicht die politische Rückendeckung für die Power-to-Gas-Technik?
Auf Bundesebene ist die Rückendeckung sehr gering. Die Bundesregierung fährt ja ohnehin klimapolitisch einen etwas paradoxen Kurs. In Paris war man dafür, den Klimawandel auf möglichst 1,5 Grad zu begrenzen. Doch gleich danach hat man den Ausbau der erneuerbaren Energien gedeckelt. Auch die Frage der Elektrolyseure wird sehr stiefmütterlich behandelt. Zwar wird in dem Ergebnispapier „Strom 2030“ erwähnt, dass Power-to-Gas einmal wichtig sein könnte, aber nicht warum. Vielmehr wird beschrieben, dass man auch so Versorgungssicherheit gewährleisten kann – was aber auf der irrigen Annahme beruht, dass man keine Dunkelflauten hat und den Ausstieg aus der Kohle nicht vollzieht. Was wiederum überhaupt nicht mit den ehrgeizigen Zielen zur CO2-Reduktion zusammenpasst.
Sie haben Windgas auch am 23. August beim Windstammtisch der WAB vorgestellt. Wie ist die Reaktion aus der Windkraftbranche?
Die Windenergiebranche musste sich ja in der Vergangenheit überhaupt keine Sorgen über energiewirtschaftliche Szenarien machen, weil das EEG einen fixen Vergütungssatz garantiert hat – ganz egal ob der Wind weht oder nicht weht, der Strompreis hoch oder niedrig ist. Zunehmend macht sich die Branche aber auch auf der Seite des Absatzes Gedanken – weil es auch sein muss. Wir haben selbst schon ein Projekt realisiert, gemeinsam mit einem lokalen Stadtwerk, bei dem Wasserstoff ins Gasleitungsnetz eingespeist wird. Außerdem beziehen wir Wasserstoff von einigen anderen Elektrolyseuren, die ebenfalls Wasserstoff ins Erdgasnetz einspeisen, womit wir unsere Kunden versorgen. Mit einem Verbund von Betreibern in Nordfriesland werden wir sehr wahrscheinlich eine Anlage in einem Gebiet bauen, das extrem häufig auf Einspeisemanagement zurückgreifen muss, in dem also die Windparks heruntergeregelt werden. Insofern ist die Reaktion aus der Branche erfreulich.
Zur Person: Sönke Tangermann
Sönke Tangermann ist seit 2014 im Team mit Nils Müller Vorstand der bundesweit akti-ven Energiegenossenschaft Greenpeace Energy eG in Hamburg. Zuvor hat der gelernte Industrietechnologe im Bereich Energie und Automatisierungstechnik von 2005 an als Geschäftsführer die Planet energy GmbH aufgebaut, die sich als Tochterunternehmen von Greenpeace Energy mit Projektentwicklung, Anlagenbetrieb und Beteiligungsmodellen befasst.
Zur Firma: Greenpeace Energy
Da kein Anbieter die strengen Ökostrom-Kriterien der Umweltschutzorganisation Green-peace e.V. erfüllte, rief sie selbst einen ins Leben. Am 27. Oktober 1999 gründet sich die Greenpeace Energy eG, im Januar 2000 lief das Geschäft mit den ersten 186 Kunden an. Bis zum heutigen Datum hat die Energiegenossenschaft, die in der Hamburger Hafencity residiert, über die Tochterfirma Planet energy GmbH bereits mehr als 140 Millionen Euro in den Ausbau erneuerbarer Energien investiert. Über 24.000 Mitglieder und 130.000 Kunden haben sich bereits angeschlossen.