Der European Green Deal braucht mehr Offshore-Wind in Deutschland – auch für „grünen“ Wasserstoff
WindEurope-Studie zum europäischen Offshore-Wind-Potenzial bis 2050 rechnet den Anteil Deutschlands klein. Das gefährdet die heimische Industrie.
Bremerhaven, 12. Dezember 2019. Der WAB e.V. hinterfragt die Ergebnisse einer Ende November vorgestellten Studie des europäischen Windverbands WindEurope. Darin benennen die Autoren für Offshore-Windparks in deutschen Gewässern bis zum Jahr 2050 ein Potenzial von rund 36 Gigawatt installierter Leistung. Das sind 21 Gigawatt weniger als die energiewirtschaftliche Fraunhofer-Studie 2017 ermittelte. Unsere Analyse zeigt: Die Autoren der WindEurope-Studie verwenden realitätsferne Annahmen. Wir unterstützen das Ziel des „European Green Deal“ der Europäischen Kommission, das volle Potenzial der Offshore-Windenergie in Europa auszuschöpfen. Das volle Potenzial der deutschen Nord- und Ostsee liegt mit 57 Gigawatt jedoch deutlich höher als von WindEurope veranschlagt.
Die von der Unternehmensberatung BVG Associates für den Branchenverband WindEurope verfasste Studie soll zeigen, wie in Europa 450 Gigawatt (GW) Offshore-Wind bis 2050 kostengünstig installiert werden können. Die von WindEurope für Deutschland ermittelten 36 GW entsprechen aus unserer Sicht aber nicht dem vollen Offshore-Wind-Potenzial in Nord- und Ostsee bis 2050. Der Grund: die Autoren treffen fragliche Annahmen.
Dies lässt sich am Beispiel der deutschen Nordsee zeigen. Die Autoren gehen davon aus, dass sich dort eine Fläche von 6200 Quadratkilometern für Offshore-Windparks eignet. Für diese Fläche sehen sie aber nur Windparks mit einer Leistung von 31 GW vor. Dies entspricht einer sogenannten Leistungsdichte von 5 Megawatt (MW) pro Quadratkilometer. Das ist ein extrem niedriger Wert, der mit der Realität in deutschen Gewässern wenig zu tun hat. Eine extrem geringe Leistungsdichte würde mit einem sehr großen Abstand zwischen Turbinen einhergehen und zu erhöhten Kosten führen: Dafür notwendige Verbindungskabel wären unnötig lang, ebenso wie die Wege zwischen Turbinen für das Service-Personal. Die meisten der in der deutschen Nordsee bisher gebauten – ebenso wie die aktuell geplanten – Offshore Windkraftwerke erreichen deshalb eine etwa doppelt so hohe Leistungsdichte. Das macht sie effizient. Zwei Beispiele: Der in diesem Jahr in Betrieb gegangene Ørsted-Windpark Borkum Riffgrund 2 kommt auf 10,4 MW pro Quadratkilometer (km²), der aktuelle EnBW-Windpark Hohe See sogar auf 11,8 MW pro km².
Auch für künftige Windparks plant das zuständige Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrografie mit einer Leistungsdichte zwischen 9 und 10 MW pro km². Hätten die Autoren der WindEurope-Studie diese „amtlichen“ Werte als Berechnungsgrundlage verwendet, wären sie – bei der von ihnen als geeignet betrachteten Fläche von 6200 Quadratkilometern – alleine in der deutschen Nordsee auf 55,8 bis 62 GW installierte Leistung gekommen. Damit lägen sie nahe an dem vom Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik im Auftrag der Stiftung Offshore-Windenergie für die deutsche Nord- und Ostsee Gewässer ermittelten Summe von 57 GW bis 2050. Diese Studie kam zudem zu dem Ergebnis, dass für die von der Bundesregierung für 2050 angestrebte klimaneutrale Energieversorgung in Deutschland die gesamten realistisch erschließbaren Potenziale aller erneuerbaren Technologien ausgenutzt werden müssen. Aus der Perspektive der WAB kann es sich Deutschland für einen effizienten Klimaschutz nicht leisten, Offshore-Wind-Potenziale in Nord- und Ostsee ungenutzt zu lassen. Nicht hilfreich dafür ist es allerdings, wenn ein Branchenverband das Ausbaupotenzial in einem wichtigen Offshore-Wind-Markt kleinrechnet.
Anderen Aussagen der WindEurope-Studie stimmen wir hingegen zu. Es ist in der Tat sehr wichtig, dass Regierungen für stabile Rahmenbedingungen über mindestens zehn Jahre sorgen und langfristig ambitionierte Ausbauziele vorgeben. Es ist ebenfalls wichtig, dass die nationalen Zulieferketten für Offshore-Wind in ganz Europa stabil bleiben und wachsen können, um sich nicht von Importen abhängig zu machen.
Wir begrüßen daher die jüngste Initiative der deutschen Küstenländer, die sich Ende November erneut für eine Offshore-Wind-Kapazität von mindestens 30 GW bis zum Jahr 2035 eingesetzt haben. Im Einklang mit der „Bremer Erklärung“, die während der WINDFORCE 2019 präsentiert wurde, fordern wir einen Offshore-Ausbaupfad von mindestens 35 Gigawatt bis 2035. Dieses Ziel berücksichtigt die Produktion von „grünem“ Wasserstoff aus Windstrom, der für die Sektorkopplung zum Beispiel dazu beitragen kann, die Stahl-, Zement- und Chemieindustrie sowie den Verkehr klimafreundlicher zu machen.
Auch deshalb braucht Deutschland bis 2050 das gesamte verfügbare Offshore-Wind-Potenzial, wenn „grüner Wasserstoff“ kein reines Import-Produkt werden soll. Der grüne Wasserstoff wird von zahlreichen Industriezweigen benötigt, um klimaneutral zu wirtschaften und ist für eine erfolgreiche Energiewende unverzichtbar.
„Wir begrüßen die Pläne der neuen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für einen European Green Deal, gleichzeitig sind wir überrascht über das von WindEurope präsentierte Ausbau-Potenzial für Deutschland“, sagt WAB e.V.-Vorstandsvorsitzende Irina Lucke. „Wir haben jetzt mit der Offshore-Wind-Technologie die Industrialisierungsphase erreicht und haben in Deutschland sehr viel in diese Pionierleistung investiert. Die heimische Wertschöpfungskette sollte hiervon profitieren können. Die gute Nachricht aus unserer Sicht ist: Wir konnten bereits zeigen, dass wir 2 GW an Offshore-Wind-Zubau pro Jahr realisieren können – wie wir es in den nächsten Jahren benötigen.“
„Um die über Jahre aufgebaute industrielle Lieferkette für Offshore-Wind in Deutschland halten zu können, brauchen wir neben langfristigen Rahmenbedingungen auch kurzfristig die bereits 2018 im Koalitionsvertrag verabschiedete Vergabe des ‚Sonderbeitrags‘ von bis zu 2GW bis spätestens Anfang 2020“, sagt WAB-Geschäftsführerin Heike Winkler. „So lassen sich freie Konverterkapazitäten volkswirtschaftlich sinnvoll nutzen. Plant die Bundesregierung hingegen weiterhin mit einer Offshore-Wind-Ausbaulücke von mehreren Jahren, verpassen wir nicht nur die Chance, vom international stetig wachsenden Exportmarkt Offshore-Wind zu profitieren. Deutschland wäre dann auch dauerhaft auf Stromimporte angewiesen, um die eigenen Klimaziele erreichen zu können und wird dann auch im Hinblick auf grünen Wasserstoff zum Importland.“
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