Die Energiewende darf kein Importprodukt werden!

Bremerhaven, 8. September 2020 – Auf der 16. WINDFORCE Conference in Bremerhaven forderten Ende der vergangenen Woche zahlreiche Expertinnen und Experten die Bundesregierung zu einer Kurskorrektur bei anstehenden Gesetzesnovellen auf, um weitere Jobverluste und Umsatzeinbußen in der mittelständischen Industrie abzuwenden. Im Zentrum der Kritik stehen die fehlenden Bauaktivitäten in Nord- und Ostsee trotz vorhandener Netzanschlusskapazitäten und baureifer Projekte sowie der vorgeschlagene Sonderweg der Bundesregierung für ein Ausschreibungsmodell für die Windkraft auf See ab 2021.

„Ein kurzfristiger Sonderbeitrag Offshore würde eine Brücke bauen zu den künftigen Offshore-Wind-Ausbauzielen, die wir sehr begrüßen. Es kommt aber eben jetzt darauf an, einen Fadenriss in den Unternehmen und für die Beschäftigten zu vermeiden. Wir müssen die Fähigkeiten erhalten, um zusammen mit den Unternehmen und Beschäftigten die notwendigen Kapazitäten für die Zukunft zu sichern“, sagt Kristina Vogt, die Bremer Senatorin für Wirtschaft, Arbeit und Europa. Die Forderung, den „Sonderbeitrag Offshore“ umzusetzen, wie im Koalitionsvertrag der Bundesregierung vereinbart, bekräftigte auf der Konferenz auch der niedersächsische Umwelt- und Energieminister Olaf Lies.

„Die deutsche Zulieferkette für die Windkraft auf See ist in ihrer Innovationskraft und in den Kostensenkungsbemühungen der letzten Jahre durch falsche politische Weichenstellungen bedroht. Weitere Insolvenzen, Abwanderungen und strategischen Neuausrichtungen von kleineren und innovativen Firmen ohne Heimatmarkt in Deutschland sind zu befürchten und Konsequenz des politisch verordneten Fadenrisses“, sagt WAB-Geschäftsführerin Heike Winkler. „Dabei wäre es clever, die innovative, durch die EEG-Umlage geförderte Zulieferkette durch eine bereits zugesagte intelligente Sofortmaßnahme zu stabilisieren, um für den späteren Ausbau der Offshore-Windenergie sowie die Erzeugung von ‚grünem‘ Wasserstoff nicht überwiegend auf Importe angewiesen zu sein“, ergänzt sie. „Das liegt angesichts des positiv zu erwähnenden politischen Langfristziels und der für den Klimaschutz notwendigen Nutzung der vorhandenen nachhaltigen Energieerzeugungspotenziale nahe“, so Winkler.

Ein weiterer Kritikpunkt: die Pläne der Bundesregierung für ein künftiges Ausschreibungsmodell für Offshore-Wind. Hier bietet sich das von der WAB und zahlreichen weiteren Branchenverbänden favorisierte und in anderen Märkten bereits etablierte Modell der Differenzverträge (kurz: CfDs) an. "Wachsende internationale Märkte für Offshore-Windenergie bieten deutschen Unternehmen enorme Exportpotenziale. Aber es gibt Konkurrenz von anderen europäischen Ländern, die Vorreiter in der Offshore-Windenergie sind, wie Dänemark und Großbritannien, und von Ländern, die jetzt die Offshore-Windenergie und ihre Lieferkette ausbauen wollen, wie Polen, Frankreich und Spanien“, sagt WindEurope-CEO Giles Dickson, der sich per Video-Schalte aus Brüssel an der WINDFORCE Conference beteiligte. Arbeitsplätze und Investitionsvolumen hängen laut Dickson davon ab, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Offshore-Windenergie stimmen. „Um weiterhin Investoren anzuziehen, muss Deutschland Differenzverträge einführen, das beliebteste und zuverlässigste Modell zur Refinanzierung von Offshore-Windenergieprojekten“, rät der CEO des europäischen Branchenverbands. Auch der litauische Vize-Energieminister Rytis Kėvelaitis, auf der Konferenz ebenfalls online zugeschaltet, kündigte die Einführung von CfDs in Litauen an und kritisierte den Sonderweg der Bundesregierung.

Wie die Wertschöpfung in den letzten Jahren im Bereich der Windenergie hierzulande bereits geschrumpft ist, hat Dirk Briese als Geschäftsführer des Marktforschungsinstituts wind:research gemeinsam mit weiteren Marktakteuren in mehreren Studien analysiert. „Beim konsequenten und schnellen Ausbau der Windenergie On- wie Offshore ergibt sich nun die Chance, zehntausend Arbeitsplätze zu erhalten und tausende weitere zu schaffen – und das in einem Land, das durch die Strukturkrise der Automobilindustrie dringend neue Märkte benötigt“, sagt Briese. „Der Windenergiemarkt ist mit durchschnittlich weit über 20 Prozent Wachstum pro Jahr seit über 10 Jahren einer der wenigen Wachstumsmärkte weltweit“, fügt er hinzu. Auf der WINDFORCE stellte der Marktforscher erste Ergebnisse einer aktuellen Studie zur Situation der Windenergie in Baden-Württemberg vor. „Der Industriestandort Baden-Württemberg hat mit seiner mittelständisch geprägten sowie forschungs- und entwicklungsstarken Struktur gute Chancen, weitere Wertschöpfungspotenziale in der Windenergie aktiv zu entwickeln - und damit auch Strukturschwächen anderer Branchen auszugleichen“, ist er überzeugt.

„Die Energiewende mit dem Ausstieg aus der Kernenergie sowie der Umstellung der Energieversorgung auf erneuerbare Energien ist ein wichtiger Schritt für eine moderne, zukunftsfähige Energieversorgung und ein wesentlicher Baustein zur Erreichung der klimapolitischen Ziele. Sie ist zugleich ein wichtiger Schritt in eine nachhaltigere industrielle Zukunft. Sie darf aber nicht nur energiepolitisch, sie muss auch industriepolitisch erfolgreich gestaltet werden. Damit der deutsche Windkraftanlagenbau mit seinen innovativen Zulieferern seine Schlüsselrolle als heimischer Technologielieferant und Arbeitgeber in den nächsten Jahren ausfüllen kann, müssen jetzt die Weichen für die Zukunft gestellt werden“, sagt IG Metall-Vorstand Wolfgang Lemb, der auf der
16. WINDFORCE Conference an einer Diskussionsrunde zu Beschäftigung und Wertschöpfung teilnahm.

Ein Schwerpunkt der Konferenz waren die mit dem Aufbau eines Markts für „grünen“ Wasserstoff in Verbindung mit Windkraft verbundenen Chancen. Am Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme IWES in Bremerhaven konnten sich Teilnehmende der Konferenz in einer Exkursion vor Ort über das Projekt „Grünes Gas für Bremerhaven“ informieren. „‘Grüner‘ Wasserstoff wird eine zentrale Rolle für die Treibhausgasneutralität aller energieverbrauchenden Sektoren wie Verkehr, Industrie und Gebäude einnehmen. Zudem lässt er sich gut speichern und transportieren“, sagt Claas Schott, Vorsitzender des Wasserstoff-Netzwerks H2BX.

Foto WINDFORCE-Diskussionsrunde: © WAB/wirrwa
Foto Offshore: © WindMW

Unterstützer für Baden-Württemberg-Studie gesucht

Das Institut wind:research startete im Juli die Neuauflage der Studie "Windenergie aus und in Baden-Württemberg", welche den Status quo der Windenergie in Baden-Württemberg darstellt darstellt sowie deren zukünftige Entwicklung (sowohl der Windenergie als auch der daraus entstehenden Wertschöpfung in und aus Baden-Württemberg) prognostiziert. Interessierte Marktteilnehmer haben weiterhin die Möglichkeit, sich finanziell an der Studie zu beteiligen und im Rahmen der Erstellung und späteren Vermarktung mitzuwirken.

Zu den vorläufigen Ergebnissen zählt: Bis 2030 kann die Windenergie allein in Baden-Württemberg bis zu 5.000 weitere Arbeitsplätze schaffen, gerechnet in Vollzeit-Äquivalenten. Voraussetzungen dafür sind unter anderem die Umsetzung der neuen Ausbaupläne der Bundesregierung für die On- und Offshore-Windenergie inkl. insbesondere dem „Südbonus“ für Onshore und dem Netzausbau für Offshore-Wind sowie der Realisierung der Pläne für „grünen“ Wasserstoff.

Über die WAB

Die WAB mit Sitz in Bremerhaven ist bundesweiter Ansprechpartner für die Offshore-Windindustrie, das Onshore-Netzwerk im Nordwesten und fördert die Produktion von „grünem“ Wasserstoff aus Windstrom. Dem Verein gehören mehr als 250 kleinere und größere Unternehmen sowie Institute aus allen Bereichen der Windindustrie, der maritimen Industrie sowie der Forschung an. www.wab.net

Kontakt

Hans-Dieter Sohn | Senior Communications and Marketing Manager WAB e.V. | +49 173 2382802 | hans.sohn @ wab.net