Energiewende-Industriestrategie dringend gesucht!
Innovative Windindustrie braucht Planungssicherheit nach 2030
Bremen/Bremerhaven/Hannover, 16. März 2020 – Die aktuellen politischen Diskussionen wie auch die Konferenz der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder in der vergangenen Woche in Berlin machen wenig Hoffnung, dass die konstruktiven Zukunftsstrategien des „Green Deals“ der EU auch in Deutschland angekommen sind. Speziell für kleine und mittelständische Unternehmen, Innovationsmotor und Pioniere der Windindustrie in Deutschland, wird der ausgebremste Heimatmarkt zunehmend zur Existenzfrage. Er belastet auch die Perspektive einer „grünen“ Wasserstoffproduktion und perspektivisch die Erschließung von relevanten Exportpotenzial. Werden die Unternehmen hierzulande durch einen schwachen Heimatmarkt ausgehungert, steigt irgendwann der Import-Anteil. Das macht das zukünftige Energiesystem unnötig teuer.
Die Bundesregierung ist an ihren Zielen gescheitert, die sie vor der letzten großen EEG-Reform formuliert hatte. In einem Eckpunktepapier hatte sie vor vier Jahren angekündigt, den Ausbau der erneuerbaren Energien „stetig und kosteneffizient“ fortzusetzen, die Akteursvielfalt zu wahren, und für ausreichend Wettbewerb zu sorgen, um die Kosten gering zu halten. Diese Ziele konnten nicht erreicht werden. „Ein ‚Fadenriss‘ bei dieser vergleichsweise jungen Technologie soll verhindert werden“, hieß es damals von Seiten der Bundesregierung. Wichtig sei daher ein „kontinuierlicher Zubau“. So würde auch den industriepolitischen Belangen der Küstenregionen Rechnung getragen, versprach die Regierung. Dieser Fadenriss ist eingetreten: Der von der Bundesregierung geplante Ausbaustopp für Offshore-Wind in den kommenden Jahren leert die Auftragsbücher der heimischen Industrie.
Wie die für die Offshore-Wind-Industrie notwendige Planungssicherheit aussehen kann, haben in den vergangenen Jahren mehrere Initiativen der Nordländer gezeigt. Im Cuxhavener Appell 2.0 haben die Nordländer 2017 betont, welchen kostengünstigen Beitrag die Windenergie auf See für die Energiewende leisten kann und gefordert, diese Wettbewerbsfähigkeit zu nutzen und mit einer deutlichen und langfristigen Anhebung der Ausbauziele zu stärken.
"Das Windenergie-auf-See-Gesetz (WindSeeG) muss zügig novelliert werden. Denn dort sind das 20 GW Ziel bis 2030 sowie ausreichende Anbindungskapazitäten rechtlich umzusetzen. Auch das langfristige Ziel von mindestens 40 GW in der deutschen Nordseeküste bis 2050 muss für die Planungssicherheit im WindSeeG verankert werden. Denn nur dann lässt sich die notwendige Infrastruktur für die Anbindungskapazität rechtzeitig und kosteneffizient planen", sagt Olaf Lies, Niedersächsischer Minister für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz.
Im vergangenen Jahr haben sich Bremer Politiker ebenfalls gemeinsam und über Parteigrenzen mit ihrer „Bremer Erklärung“ für eine langfristige Perspektive der Offshore-Windindustrie in Deutschland eingesetzt. Ein weiteres Beispiel für die konstruktive Unterstützung der Nordländer für die Windbranche. Darin sprechen sie sich dafür aus, den Ausbaupfad für die Windkraft auf See bis zum Jahr 2035 auf mindestens 35 GW zu erhöhen – auch im Hinblick auf die für die Energiewende dringend benötigte Sektorenkopplung.
„Die Offshore-Windindustrie ist ein wesentlicher Pfeiler der erforderlichen Energiewende. Mit den Ausbauzielen der ‚Bremer Erklärung‘ kann sie auch wieder zu einem Jobmotor werden und an der Nordseeküste einen wesentlichen Beitrag zur Erzeugung von ‚grünem‘ Wasserstoff leisten“, sagt Kristina Vogt, Senatorin für Wirtschaft, Arbeit und Europa des Landes Bremen.
„Im Unterschied zur Bundesregierung haben die Nordländer und die EU-Kommission verstanden, dass die Unternehmen der Offshore-Wind-Industrie und anderer Industriezweige eine Planungs- und Investitionssicherheit benötigen. Ihre Industriestrategie und ihr Green Deal mit einer Perspektive von bis zu 450 Gigawatt Offshore-Wind bis 2050 in Europa sind wegweisend und stehen in scharfem Kontrast zur Energiepolitik der Bundesregierung, die keine zukunftsweisenden Handlungen erkennen lässt“, sagt WAB-Vorstandsvorsitzende Irina Lucke.
„Da hilft auch nicht der Hinweis, dass es einen wachsenden Exportmarkt gäbe, auf den es sich nun zu fokussieren gilt. Für kleine und mittelständische Unternehmen ist es schwieriger als für Großunternehmen, je nach Marktlage in internationale Märkte auszuweichen. Dieser Fadenriss wird hierzulande viele kleinere und mittlere Firmen verdrängen und zahlreiche weitere Arbeitsplätze kosten. Damit reduziert die Bundesregierung weiter die Akteursvielfalt, die sie einst wahren wollte“, fügt WAB-Geschäftsführerin Heike Winkler hinzu. Die Bundesregierung hat noch nicht einmal ihr Versprechen aus dem 2018 vereinbarten Koalitionsvertrag eingelöst, kurzfristig einen „Offshore-Sonderbeitrag“ auszuschreiben, obwohl freie Netzanschlusskapazitäten verfügbar sind.
In der neuen Industriestrategie der EU finden die Anliegen und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen wieder mehr politische Beachtung. Bei der Vorstellung ihrer neuen Industriestrategie in der vergangenen Woche betonte die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, dass die europäische Industrie das Zeug dazu habe, eine Vorreiterrolle zu übernehmen, und dass die Europäische Kommission alles tun werde, um sie dabei zu unterstützen. Die Bundesregierung hingegen verzichtet nicht nur darauf, den Ausbau der Windkraft auf See auf die von Think-Tanks wie AGORA Energiewende empfohlenen 25 bis 28 Gigawatt bis 2030 anzuheben, die es benötigt, um die das Ziel eines Ökostrom-Anteils von 65% kostengünstig zu erreichen. Sie verzichtet auch auf ein langfristiges Ausbauziel über 2030 hinaus, welches der Industrie die notwendige Planungssicherheit bieten würde.
„Für das Gelingen der Energiewende leistet die On- und Offshore-Windenergie-Branche an der Küste und im Binnenland ökonomisch und technologisch einen wichtigen Beitrag. Sie braucht eine verlässliche Perspektive und den lang erwarteten politischen Rückenwind, um auch für die Sektorenkopplung über ‚grünen‘ Wasserstoff ihr Potenzial realisieren zu können. 20 Gigawatt für Wind auf See bis 2030 ohne ein längerfristiges Ziel sind deshalb nicht ausreichend“, sagt WAB-Geschäftsführerin Heike Winkler.
Über den WAB e.V.:
Die WAB mit Sitz in Bremerhaven ist bundesweiter Ansprechpartner für die Offshore-Windindustrie, das Onshore-Netzwerk im Nordwesten und fördert die Produktion von „grünem“ Wasserstoff aus Windstrom. Dem Verein gehören mehr als 250 kleinere und größere Unternehmen sowie Institute aus allen Bereichen der Windindustrie, der maritimen Industrie sowie der Forschung an.
Kontakt:
Hans-Dieter Sohn | Senior Communications and Marketing Manager WAB e.V. | +49 173 2382802 | hans.sohn@wab.net
Foto: © Trianel Windpark Borkum II