Bremerhaven, 05. September 2019 — Deutschland hat im ersten Halbjahr 2019 einen Negativ-Rekord beim Zubau von Windenergieanlagen an Land seit dem Jahr 2000 erleben müssen: Lediglich 35 Anlagen wurden netto neu errichtet. Langwierige Genehmigungsverfahren und Akzeptanzfragen sind häufig ursächlich für den schleppenden Ausbau. In der Folge bedeutet das eine Schwächung der Windindustrie, hier vor allem für kleine und mittelständische Unternehmen sowie Arbeitsplatzverluste. Heute wurden selektiv Branchenvertreter durch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier nach Berlin „zum Austausch zur Situation der Windenergie an Land“ eingeladen.
Die Deckelung des heimischen Windenergieausbaus belastet die Windindustrie erheblich. Insbesondere Arbeitsplätze in kleinen und mittelständischen Unternehmen, die Pioniere der Branche, sind akut gefährdet oder bereits verloren gegangen. Laut der Agentur für Erneuerbare Energien waren im Jahr 2016 insgesamt 160.000 Menschen in der Windindustrie beschäftigt. Im Onshore-Bereich waren es rund 133.000; im Offshore-Bereich etwa 27.000. Eine im Jahr 2019 veröffentliche Studie von wind:research zeigt für das Jahr 2018 ca. 24.350 Beschäftigte im Offshore-Bereich auf, was einem Rückgang von über 2.500 Beschäftigten entspricht. Bedingt durch Unternehmensinsolvenzen ist in diesem Jahr von einem weiteren Rückgang auszugehen. Wie aus einer Bundestagsanfrage hervorgeht, sind im Bereich Onshore zwischen 2016 und 2017 fast 22.000 Arbeitsplätze verloren gegangen. Die Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage würde für den Offshore-Bereich einen noch drastischeren Rückgang als die Zahlen von wind:research bedeuten. Demnach wären zwischen 2016 und 2017 sogar über 4.000 Offshore-Arbeitsplätze verloren gegangen.
Als Branchennetzwerk für die Windenergie an Land und auf See und mit 260 Unternehmensmitgliedern, davon allein in Bremen über 50 und in Bremerhaven rund 30 Unternehmen, setzt sich die WAB deswegen mit Nachdruck dafür ein, die Ausbaupfade für die On- und Offshore-Windenergie umgehend und langfristig anzuheben. Sollte der Windgipfel zu mehr Windenergie an Land und auf See führen, können auch die energiepolitischen Ziele bis 2030 und darüber hinaus erreicht werden. Auf diese Weise können die 2.290 Arbeitsplätze allein in der Offshore-Windindustrie in Bremen und 4.390 Offshore-Arbeitsplätze in Niedersachsen gesichert und perspektivisch ausgebaut werden.
Unter Berücksichtigung der Entwicklung neuer Speichertechnologien (P2X) und der Sektorkopplung fordert die WAB im Bereich Windkraft auf See einen Ausbaupfad von 35 Gigawatt bis zum Jahr 2035 ein. Bei einem Ausbaupfad von 40 GW könnte die Anzahl der Beschäftigten laut wind:research auf 35.000 Arbeitsplätze gesteigert werden. Zudem sollte, wie im Koalitionsvertrag beschlossen und auch in dieser Woche erneut gemeinsam von allen Offshore-Verbänden gefordert, ein Sonderbeitrag von bis zu 2 GW so schnell wie möglich auf den Weg gebracht werden. Die Inbetriebnahme der Projekte im Rahmen des Sonderbeitrages könnte dann erst 2023 beginnen.
Die WAB macht sich dafür stark, dass die Bedeutung des Industriesektors Wind endlich in Berlin wahrgenommen wird. Während das Bundeskabinett Milliardenhilfen für die vom Kohleausstieg betroffenen Regionen bereitstellt, um die Reviere zu modernen Energie- und Wirtschaftsregionen weiterentwickeln zu können, scheinen die Arbeitsplatzverluste im Bereich der Windkraft wenig Beachtung zu finden. Wenn man bedenkt, dass die Anzahl der direkten Arbeitsplätze in der Braunkohlenindustrie laut einer Studie des Öko-Instituts Berlin Anfang 2016 etwa 20.800 betrug, sollte der Arbeitsplatzverlust von bis zu 25.000 Arbeitslätzen in der Windindustrie schwer wiegen.
Insbesondere das Thema Akzeptanz sollte für die Onshore-Windindustrie in der politischen Diskussion im Vordergrund stehen. Daneben sollten die genehmigungsrechtlichen Verfahren beschleunigt und die Regelungen zur Flugsicherung im Hinblick auf die Windenergie an Land überprüft werden.
„Es muss deutlich werden, dass die Windindustrie ein großes Potenzial für die lokale Wertschöpfung bietet und damit für die Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen vor Ort“, sagt Heike Winkler, WAB Interim-Geschäftsführerin, und führt aus: „Der vom Bundeswirtschaftsministerium initiierte Windgipfel wird der aktuellen Situation, die auch Insolvenzen, Stellenabbau und sinkende Wertschöpfung für die heimische Windindustrie bedeutet, nicht gerecht und verdeutlicht, dass das Thema Wertschöpfung im Kontext Wind immer noch nicht in Berlin angekommen ist. Gerade vor dem Hintergrund der hohen Akzeptanz der Energiewende liegt es nah, den Dialog mit der Bevölkerung und allen relevanten Akteuren, speziell mit den innovativen kleinen und mittelständischen Unternehmen aktiv gemeinsam zu gestalten. Die Arbeitsmarkt-Chancen, die die Windindustrie in Deutschland darstellt, können Akzeptanzfragen positiv beeinflussen.“
„Die Energiewende lässt sich nur nachhaltig erfolgreich umsetzen, wenn es einen klaren Fahrplan gibt und die Bevölkerung nachvollziehen kann, wie die Umsetzung auch in finanzieller Hinsicht erfolgt. Viele Akzeptanzthemen im Hinblick auf den Ausbau der Windenergie an Land sowie im Kontext Netzausbau können nur durch Transparenz, Partizipation an der Wertschöpfung und damit verbundene Arbeitsplätze positiv beeinflusst werden“, erklärt Irina Lucke, Vorstandsvorsitzende des WAB e.V. „Im Hinblick auf den Rückgang von Arbeitsplätzen in fossilen Industriezweigen werden die neu entstehenden Arbeitsplätze in der Windindustrie immer wichtiger“, so Lucke weiter.