Die Bundesregierung sollte in ihren Plänen folgende vier Chancen berücksichtigt haben: Erstens bis 2050 deutlich mehr als die für 2040 geplanten 40 Gigawatt (GW) ansteuern. Zweitens mit einem überarbeiteten Zeitplan bis 2030 die langjährig aufgebaute Lieferkette für Offshore-Wind stärken und Exportpotenziale nicht weiter reduzieren. Dies wäre drittens wieder attraktiv für internationale Investoren und würde viertens über ein stabiles erneuerbares Energiesystem die Versorgungssicherheit stärken. Die derzeit bis 2030 vorgesehene Taktung des Ausbaus in Deutschland wird weder dem Bedarf an klimafreundlichem Strom noch dem benötigten Volumen an "grünem" Wasserstoff gerecht.
"Die Energiewende soll neben Klimaschutz auch hierzulande Beschäftigung und Exportpotenzial bieten. Deshalb ist es nicht nur wichtig, die langfristigen Ziele dem Bedarf anzugleichen, sondern auch den Weg bis dahin kosteneffizient und umweltfreundlich zu gestalten. Nicht zuletzt geht es auch um ein langfristiges Exportpotenzial, die Stabilität des Energieversorgungssystems und die Attraktivität des deutschen Marktes für internationale Investoren", sagt Jens Assheuer, Vorsitzender des WAB e.V.-Vorstands.
Um die bis 2050 geplanten 300 GW Offshore-Wind in der EU zu erreichen, müssen wesentlich mehr Flächen für die Erzeugung von Offshore-Windstrom und "grünem" Wasserstoff sowie den Anschluss an das Strom- und Gasnetz bestimmt und genutzt werden. Zur Einordnung: Allein Großbritannien plant in diesem Zeitraum 100 GW und ist bereits heute auf halbem Weg zu Netto-Null-Emissionen. "Das für die Windenergie auf See sinnvolle und nutzbare Potenzial in der deutschen Nord- und Ostsee geht deutlich über die bis 2040 geplanten 40 GW hinaus. Hier müssen vor der nächsten Wahl zukunftsfähige Nutzungsentscheidungen getroffen werden. Vor allem der langfristige Bedarf an 'grünem' Wasserstoff aus Offshore-Wind sollte in der Meeresraumplanung berücksichtigt werden", sagt Heike Winkler, WAB-Geschäftsführerin. Sonst bleibt "grüner" Wasserstoff perspektivisch unwirtschaftlich und von Importen abhängig. Die von der Bundesregierung zuerkannte künftige "besondere Rolle" der Windkraft auf See - gerade für die Produktion von "grünem" Wasserstoff - sollte als eigenes Ausbauziel in der Raumplanung berücksichtigt und festgelegt werden.
Für die Nachhaltigkeitsbewertung gilt: Klima- und Naturschutz sind eine gemeinsame und unteilbare Aufgabe. Zudem übertrifft die Offshore-Windindustrie - auch aus Sicht der EU-Kommission - die Energie aus fossilen Quellen in Bezug auf Wertschöpfung und Beschäftigungswachstum und kann in den kommenden Jahren einen stärkeren Beitrag zum Wirtschaftswachstum der EU leisten. Dies ist für die Bewältigung der Folgen der Corona-Pandemie erforderlich.
In der Europäischen Union soll die Leistung der Offshore-Windenergie bis 2050 um den Faktor 25 gesteigert werden. Hierfür muss der Zeitplan für den jährlichen Offshore-Wind-Ausbau bis 2030 in Deutschland überarbeitet werden. Wichtig ist vor allem aus Kosteneffizienzgründen ein Kurswechsel in der Ausschreibungsplanung, um die Folgen des aktuell fehlenden Windausbaus an Land und auf See zu mildern und den drohenden "Ausbau-Stau" zum Ende des Jahrzehnts zu vermeiden.
Der Offshore-Wind-Zubau in Deutschland von 12,2 GW bis 2030 sollte idealerweise möglichst gleichmäßig vorangehen. Doch nach aktuellen Plänen soll die Kapazität von derzeit 7,8 GW bis 2025 nur um rund 3 GW auf 10,8 GW erhöht werden. Um auf die gewünschten 20 GW zu kommen, soll ein Großteil des Ausbaus erst in den letzten beiden Jahren vor 2030 an das Netz angeschlossen werden. Allein die für 2029 geplanten 2,9 GW entsprechen dem Marktvolumen für die Offshore-Wind-Lieferkette zwischen 2020 und 2025. Und sie werden noch übertroffen von den geplanten 4 GW im Jahr 2030, bevor der durchschnittliche Ausbau nach 2030 wieder auf 2 GW pro Jahr sinken soll.
"Wir befinden uns mitten in einer Fehlentwicklung, die einen maximalen Importanteil an erneuerbarer Energie bedeutet, da es in diesem und im kommenden Jahr in Deutschland kaum Bauaktivitäten in der Nord- und Ostsee gibt und auch der Onshore-Windausbau nicht im gewünschten Tempo vorangeht", erklärt Heike Winkler. Bis 2028 sollen in Deutschland im Schnitt weniger als 700 MW pro Jahr auf See zugebaut werden - und in den letzten beiden Jahren des Jahrzehnts jeweils das Fünffache, um das Ziel für 2030 zu erreichen. Dieser Ketchupflaschen-Effekt wird weder der internationalen Entwicklung noch dem systemstabilisierenden Charakter der Offshore-Windenergie gerecht.
Für einen früheren Ausbau stehen Flächen zur Verfügung. Die Netzanschlüsse für 658 MW aus der aktuellen 968 MW-Ausschreibungsrunde sind bereits 2023 verfügbar - nach aktuellen Plänen sollen die Projekte aber erst drei Jahre später in Betrieb gehen. Welche Chancen ein rascher Ausbau bringt, zeigt aktuell Großbritannien. Dort rechnet die Politik damit, bis 2026 dank eines Klimaschutz-orientierten Ausbaus der Technologie mehr als 40.000 neue Jobs zu schaffen. "Wenn in Deutschland der größte Teil des Zubaus auf See auf das Ende des Jahrzehnts geschoben wird, kommt er für viele innovative, spezialisierte deutsche Mittelständler zu spät, die dringend kurz- und mittelfristig Aufträge und Bautätigkeit benötigen", so Heike Winkler.
Die Bundesregierung hat bereits beschlossen, dass zwischen 2030 und 2040 weitere 20 GW realisiert werden sollen. Dafür werden ab 2025 zehn Jahre lang jedes Jahr im Schnitt 2 GW ausgeschrieben - davon könnte die heimische Lieferkette einschließlich der maritimen Industrie enorm profitieren, wenn sie bis dahin nicht weiter reduziert wird. "Aus unserer Sicht sind zusätzliche Ausschreibungen vor 2024 unabdingbar, wenn die Ziele kosteneffizient und umweltfreundlich erreicht werden sollen. Die internationale Attraktivität des deutschen Marktes für Investoren sollte nicht weiter gefährdet werden. Wir brauchen eine zusätzliche Ausschreibung im Jahr 2022, in Kombination mit einem effizienten und klimafreundlicheren Zielkorridor", sagt die WAB-Geschäftsführerin.
Über die WAB
Die WAB mit Sitz in Bremerhaven ist bundesweiter Ansprechpartner für die Offshore-Windindustrie, das Onshore-Netzwerk im Nordwesten und fördert die Produktion von "grünem" Wasserstoff aus Windstrom. Dem Verein gehören mehr als 250 kleinere und größere Unternehmen sowie Institute aus allen Bereichen der Windindustrie, der maritimen Industrie sowie der Forschung an.
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